Verdichtet, ruhiger, knapper und bezahlbar: So sieht der Zukunftsforscher das Wohnen in der Schweiz

Als führender Zukunftsforscher der Schweiz beschäftigt sich Georges T. Roos systematisch mit Fragen zur Zukunft. Dabei setzt er sich auch mit den globalen Megatrends Bevölkerungswachstum, Überalterung, Individualisierung, Digitalisierung, Ökologie und Transparenz auseinander. Wir haben ihn zum Einfluss dieser Themen auf das Wohnen befragt und erhielten zuversichtlich stimmende Antworten.

Herr Roos, was sind die globalen Megatrends und werden diese auch auf das Wohnen in der Schweiz einen Einfluss haben?
Zu den Megatrends zählen Bevölkerungswachstum, Alterung, Individualisierung, Digitalisierung, Ökologie und Transparenz und noch einige mehr. Es ist für Megatrends bezeichnend, dass sie sich auf alle Lebensbereiche auswirken – und damit auch auf das Wohnen hier bei uns.

Welche Megatrends sind für das Wohnen in der Zukunft besonders wichtig – und warum?
Beim Wohnen in der Schweiz ist das Bevölkerungswachstum sicher sehr wichtig, weil mehr Menschen mehr Wohnraum benötigen. Weil man bei uns das Kulturland vor weiterer Zubetonierung schützen möchte, müssen wir mehr in bereits besiedelten Gebieten bauen, was Verdichtung bedeutet. Das Bevölkerungswachstum bis 2050 betrifft im Übrigen hauptsächlich die Altersgruppe 65+, während die Anzahl Jugendlicher und Menschen im erwerbsfähigen Alter nicht bedeutend zunehmen wird. Das heisst: Die Gesellschaft wird altern. Dies ist einer der Treiber, warum in Zukunft vor allem die Anzahl der kleinen Haushalte zunehmen wird.

Wie wird sich denn die alternde Bevölkerung in den nächsten Jahren auf das Wohnen auswirken?
Wir kommen ab jetzt in die Phase, in der die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, das Rentenalter erreichen. In der Schweiz bedeutet dies, dass bald jeder vierte Mensch über 65 Jahre alt sein wird. Derzeit gibt es noch einen Geburtenüberschuss, der sich jedoch bald in einen Sterbeüberschuss umkehren wird. Die meisten älteren Menschen haben bereits eine Wohnung. Die Herausforderung besteht aber darin, dass sie teilweise in zu grossen Wohnungen leben – aus Gewohnheit und weil sie oft günstiger sind als neue Wohnungen. Hier sind auch die Genossenschaften gefragt, wie sie mit der Verteilgerechtigkeit umgehen. Neue Formen des Zusammenwohnens könnten zukunftsfähig sein und auch der Vereinsamung entgegenwirken. Es gibt da bereits Ideen und Konzepte: Siedlungsformen, in denen der Privatraum zwar etwas begrenzt ist, aber dafür die gemeinsam nutzbaren Angebote sehr attraktiv sein können.

Inwiefern wird die digitale Transformation eine Rolle spielen?
Die digitale Transformation spielt eine grosse Rolle: Es wird intelligente Wohnungen geben mit umweltsensibler Technologie, Sensorik und Automatisierung in den Bereichen Raumklima und Sicherheit. Es ist sogar denkbar, dass wir in ferner Zukunft Hausroboter haben werden. Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang mit hochbetagten Personen. Auch das Thema Homeoffice hat hier einen Einfluss, also dass wir Bürofunktionalitäten öfter zu Hause wiederfinden.

Die digitale Transformation führt auch dazu, dass wir in 25 bis 30 Jahren sehr viele autonome Verkehrsmittel haben werden. Richtig eingesetzt, wird autonomes Fahren den Individualverkehr stark reduzieren, ohne die individuelle Mobilität einzuschränken. Werden viele laute Autos mit einer einzigen Person darin von einer Flotte aus kleinen, elektrisch angetriebenen und nach Bedarf statt Fahrplan verkehrenden Shuttles ersetzt, dürften wir höchstwahrscheinlich ruhigere Gegenden in den Städten haben, was die Wohnqualität und wohl auch das Wohnungsangebot erhöhen wird.

Wie werden sich die weiteren Megatrends auswirken?
Die ökologische Transformation wird sicher auch eine grosse Rolle spielen: Wohnungen müssen ihren Beitrag zur CO2-Neutralität leisten. Möglicherweise wird es sogar Diskussionen darüber geben, wie viel Fläche eine Person überhaupt klimaverträglich bewohnen darf. Zusätzlich spielt die Individualisierung eine grosse Rolle, da verschiedene Lebensstile, Lebensräume und Lebensvorstellungen berücksichtigt werden müssen. Flexibilität in den Wohnräumen wird daher entscheidend sein, um unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. 

Sind Individualisierung und Verdichtung nicht ein Widerspruch?
Das ist sicherlich ein Zielkonflikt – im Wohnbereich stehen wir vor vielen Zielkonflikten. Aber es geht auch darum, eine hochwertige Verdichtung zu erreichen. Verdichtung sollte nicht mit kahlen Blockwohnungen verwechselt werden, sondern kann sich positiv auf städtische Gebiete auswirken. Es geht darum, eine dichte Bebauung zu schaffen, die gleichzeitig lebensfreundlich ist. Wenn dies gelingt, wird der Zielkonflikt zwischen dem Wunsch nach vielfältiger Individualität und der Verdichtung abgeschwächt. 

Wie sehen Sie die Zukunft für Wohnbaugenossenschaften?
Die Idee von Wohnbaugenossenschaften erlebt derzeit eine Wiederbelebung. Genossenschaften entsprechen dem Zeitgeist, indem sie wohnfreundliche Dienstleistungen bieten, Ungerechtigkeiten beim Platzangebot entgegenwirken und das Mitspracherecht fördern. Genossenschaftliches Wohnen ist in dieser Hinsicht eine sehr zeitgemässe Gesellschaftsform. Die Herausforderung im Wohnungswesen besteht jedoch darin, dass in der Schweiz zu wenig Wohnfläche im Vergleich zum Bevölkerungswachstum zugebaut wird. Das betrifft auch die Genossenschaften.

Die Lebenskosten steigen: Werden die Mietzinsen bezahlbar bleiben?
Interessanterweise ist der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen in den letzten Jahrzehnten eigentlich konstant geblieben – und dabei beanspruchen wir immer mehr Wohnfläche pro Kopf. Obwohl die Kosten gestiegen sind, haben wir auch höhere Einkommen. Es kann natürlich zu Verschiebungen im Budget des verfügbaren Einkommens kommen, aber ich gehe nicht davon aus, dass es zu starken Kostensteigerungen im Wohnbereich kommt. Die gesellschaftspolitische Grundhaltung ist eindeutig: Wohnen darf nicht unerschwinglich werden. Es ist kein Luxusgut, auf das wir allenfalls auch verzichten können.

Das klingt positiv – aber wie reagieren Menschen Ihrer Erfahrung nach auf Zukunftsthemen: eher positiv oder eher negativ?
Momentan überwiegt eher die Furcht. Interessant ist, dass Menschen, wenn sie nach der Zukunft der Welt gefragt werden, eher pessimistisch sind. Wenn es jedoch um ihre persönliche Zukunft geht, sind sie zuversichtlich.

Redet man sich die eigene Zukunft denn schön?
Ich denke eher, dass der Zustand der Welt oft zu negativ dargestellt wird. Es wird mehr über schlechte Dinge wie Terror, Krisen oder Kriege berichtet, und dadurch eine negative Zukunftserwartung genährt. Das Bild, das viele Menschen von der allgemeinen Zukunft haben, ist also zu pessimistisch. Es gibt viele positive Entwicklungen in Technologie, Energie und Mobilität sowie soziale Fortschritte, aber diese kommen selten ins Bewusstsein, da weniger darüber berichtet wird. Die positiven Veränderungen benötigen Zeit, während negative Ereignisse oft sofortige Aufmerksamkeit erregen. Ich bestreite nicht, dass es grosse Herausforderungen gibt, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie meistern können, auch wenn es schwierig wird.

Sie haben früher als Journalist gearbeitet: Sollte man weniger über Negatives und mehr über Positives berichten?
Die Skandalisierung ist sicherlich ein Nachteil. Sie stumpft ab, und wenn ständig alles dramatisch dargestellt wird, verliert es an Wirkung. Wenn wir über Megatrends sprechen, sollten wir uns bewusst machen, dass dies nur Entwicklungen sind und noch nicht die Zukunft. Die Zukunft gestalten wir – und wie wir sie gestalten, ist entscheidend. Indem wir die Menschen nicht frustrieren, sondern mit positiven Nachrichten mögliche Lösungen aufzeigen, können wir einen konstruktiven Gestaltungswillen fördern.

Georges T. RoosDer ehemalige Journalist kam am Gottlieb Duttweiler Institut mit den Methoden und Fragestellungen der Zukunftsforschung in Berührung – das Thema hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Er ist heute der führende Zukunftsforscher in der Schweiz, Gründer eines Zukunftsinstituts und Autor zahlreicher Studien und Publikationen.

 

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